Erstaunlich, dass ich mich mit der Rezension des Buchs „Dichter, Denker, Schulversager – Gute Schulen sind machbar / Wege aus der Bildungskrise“ so schwer tue. Woran könnte es liegen? Denn das Buch war in Normalzeit gelesen.
Zunächst die beiden honorigen Autoren: Jörg Dräger und Klaus von Dohnanyi. Jörg Dräger hat die ersten 170 Seiten geschrieben, Klaus von Dohnanyi ein „politische Gebrauchsanweisung“ auf den letzten 40 Seiten. Von Dohnanyi, SPD-Mitglied, hat zahlreiche politische Ämter bekleidet, u.a. war er Bundeswissenschaftsminister unter Willy Brandt, Mitglied des Kabinetts von Helmut Schmidt und Erster Bürgermeister von Hamburg.
Jörg Dräger (*1968), parteilos, war zwischen 2001 und 2008 in Hamburg Wissenschafts- bzw. Gesundheitssenator. Seit 2008 ist er Vorstand im Bereich Bildung der Bertelsmann-Stiftung. Das macht es schon etwas kniffliger, aber nicht schwierig. Die Bertelsmann-Stiftung ist…
…eine, nein, DIE große Stiftung im Bildungsbereich. Ganz gleich, was man zu ihr schreibt, man wird auf Menschen treffen, die die Arbeit der Stiftung schätzen oder ablehnen.
Zum Buch. Die deutsche Bildungsmisere also. Wieder einmal. Und was man am Bildungssystem ändern muss. Nicht könnte, sondern aus Sicht der Autoren ändern muss. Das Buch „Dichter, Denker, Schulversager“ ist für Leser, die sich für Bildungspolitik und die großen Stellschrauben interessieren. Sowohl Dräger als auch von Dohnanyi zeigen, was im Bildungssystem aus ihrer Sicht schief läuft und was eigentlich getan werden sollte. Wer hingegen konkrete Tipps für seine kleine Schule erwartet, wird nicht befriedigt. Wer ein klares Bekenntnis zu einer zuweilen streitbaren Position lesen will, wer damit umgehen kann, dass Studien im „Viertelseiten-Takt“ die Argumente untermauern und wer vor einem appellatorischen, wiederholten „wir müssen“ nicht zurückschreckt, erfährt Anregungen, die eigene Sicht vielleicht zu überdenken.
Mit einigen Interviews machte Jörg Dräger unlängst auf das Buch auf sich aufmerksam. (z.B. mit der These „Die Struktur der Schulen ist letztlich egal.„) Aber nur wenn jemand klar Position bezieht, können wir sehen, wo wir stehen, können wir erkennen, was wir wollen oder was wir ablehnen. In Jörg Drägers Buch gibt es acht Kapitel, die in kleinere Abschnitte unterteilt sind. Jedes Kapitel endet mit dem Abschnitt „Der Wandel ist machbar“, was die Inhalte zusammenfasst und Impulse zur Umsetzung liefert.
Hab ich mich hier auch am Inhalt schwer getan? Ja, stellenweise, denn viele Ansätze sind keine schnellen, einfachen Lösungen, sondern würden länger (v.a. länger als eine Legislaturperiode…) dauern. Das macht die Schwerpunkte seiner Ideen so groß, so weitreichend, dass die Umsetzung ein riesiger (politischer, gesellschaftlicher) Kraftakt wäre: z.B. ungleiche Bezahlung der Lehrer (u.a. in Abhängigkeit von Leistung, d.h. auch „gutes Abschneiden der Schüler“), ein bundesweites Programm zur Entwicklung von 1000 Magnetschulen in sozialen Brennpunkten, ein kostenfreies erstes Kita-Jahr (bei Verdoppelung der Kita-Plätze), Stipendien für Lehramtsanwärter mit Migrationshintergrund, stärkere Transparenz über erzielte Ergebnisse (mit einem neidischen Blick auf Australien oder in Colorado(!)) undundund. Belege für seine Ideen liefert Dräger in zahlreichen aktuellen Studien und Beispielen. Gleichwohl: es bleibt eine riesengroße Kiste an Ideen, die zuerst (wollte man sie alle umsetzen) einen bundesweiten Bildungskonsens und eine geeinigte Bildungs-Republik voraussetzten. Auf das Schlagwort „das Geld und die Zahlen“ fasst die ZEIT-Rezension Drägers Strategie zusammen. Da ist was dran. Und es bleibt ein langer Weg, ehe wir das Geld mit einem gemeinsamen Ziel an die vermeintlich richtigen Stellen geben und ehe wir Kennzahlen gefunden haben, auf die wir uns als Indikatoren einigen könnten.
Klaus von Dohnanyis Abschnitt liefert dann die „politische Gebrauchsanweisung“, die auch deutlich macht, dass es (ganz gleich welches Ziel man im Bildungsbereich anpeilt) ein sehr langer Weg wird. Würden wir uns erstens über die Probleme einig, würden wir uns zweitens auf gemeinsame Ziele einigen können, könnten wir dann drittens auch die Maßnahmen planen. Auf diesem steinigen Weg müssen wir weiterhin versuchen, für eine gemeinsame Idee einer Bildungsrepublik zu streiten. In diesem (positiv verstandenen) Streit ist das Buch des Vorstands der Bertelsmann-Stiftung Jörg Dräger ein gewichtiger Beitrag, der die Ausrichtung der Stiftung deutlich werden lässt.
Das Buch hat ca. 240 Seiten und kostet bei Amazon €17,99.
Hier noch ein (leider etwas störend geschnittenes) Video des Autors zum Buch und die Termine der Lesereise (Berlin, Hamburg, Frankfurt, Hameln).