Auf dem Deutschen Schulleiter-Kongress ist Jens-Uwe Meyer einer der Hauptreferenten. Er bezeichnet sich selbst als „Ideeologen“ und unterstützt als Managementberater Unternehmen, kreative Lösungen zu finden: Also ein schulfremder Referent auf dem Kongress, der sich mit Kreativität und Innovation beschäftigt. In einem kurzen E-Mail-Interview habe ich ihn zu seinen Ansichten vorab befragt.
Herr Meyer, Sie bezeichnen sich und Ihre Mitarbeiter als „Ideeologen“. In einem Satz, was machen die Ideeologen?
Die Ideeologen unterstützen Unternehmen dabei, Innovationskonzepte zu entwickeln und eine Kultur zu schaffen, um diese umzusetzen.
Sie sprechen davon, dass es „radikale Innovationen“ im Bildungsbereich geben müsse und sagen, dass Schulen umdenken sollten. Wie denken Schulen denn bislang?
Schulen gelten allgemein als Wissensvermittler. Diese Aufgabe werden Sie auch in Zukunft haben, doch andere Bereiche werden zunehmend wichtiger in einer Gesellschaft, die durch Innovation getrieben wird: Wissenstransfer von einem Bereich in den anderen, Wissensgenerierung als Grundlage für Innovation, Wissensvernetzung zur Förderung von dem, was als Arbeit der Zukunft gilt. Diesen Rollen werden Schulen mit ihren traditionellen Konzepten aktuell nicht gerecht.
Was sollten Schülerinnen und Schüler im Bereich Kreativität lernen?
Die Förderung von kreativem Denken muss ein Teil von jedem Unterrichtsfach werden. Die selbstständige Erarbeitung individueller Lösungen für Probleme, die von Lehrern vorgegeben werden. Neue Dinge ausdenken und diese dann umsetzen. Bestehendes infrage stellen und Besseres entwickeln. Kreativität wird momentan häufig mit Kunst gleichgesetzt, was totaler Unsinn ist. In der Controllingabteilung eines Unternehmens brauchen Sie genauso viele kreative Köpfe wie im klassisch künstlerischen Bereich.
In der Schule gibt es zentrale Abschlüsse, Bildungsstandards und klar voneinander abgrenzbare Fächer. Wo finden wir da momentan die Kreativität und vor allem wie bringen wir sie stärker in die Schule rein?
Wir müssen uns ernsthaft die Frage stellen, ob diese Abgrenzung heute noch sinnvoll ist. Wir produzieren damit vielfach Fachidioten. Was wir brauchen, sind vernetzte Denker, die Musik und Mathematik miteinander verknüpfen, Storytelling aus dem Deutschunterricht mit dem Basiswissen von Wirtschaft verbinden, Verbindungen zwischen Physik und Biologie herstellen. Innovation findet immer an den Grenzbereichen von Fachgebieten statt. Wenn wir Innovation fördern wollen, müssen wir Schülern frühzeitig beibringen, diese Grenzen zu suchen und sie zu überschreiten.
Haben Sie ein Beispiel? Kennen Sie besonders kreative Schulen?
Ich habe mich längere Zeit mit Bildungskonzepten wie den BIP-Kreativitätsschulen beschäftigt. Hier finden sich einige interessante Ansätze, bei denen Schüler individuell gefördert werden: Nicht jeder Schüler kommt mit dem klassischen Weg der Wissensvermittlung zurecht. Einige lernen mehr durch Interaktion, andere durch reden, wiederum andere durch Erleben oder Experimentieren. Letzteres – also das Wissen durch Experimente – bezeichnete der geniale Erfinder Thomas Edison als „absolutes Wissen“. Auch Managementvordenker Peter Drucker hat dies sehr gut analysiert. Die klassische Schule bevorzugt den Typus des Schülers, der durch frontale Wissensvermittlung lernt. Bildungskonzepte wie die der BIP-Kreativitätsschulen gehen hier individueller auf den Lernstil eines jeden Individuums sein.
Was kann ein Schulleiter tun, um das kreative Potential an seiner eigenen Schule zu heben?
Für mich würde eine Lösung darin bestehen, mehr Zeit für Projekte zu schaffen, die von Schülern gestaltet werden. Warum machen wir Themen wie Wirtschaft nicht spielerisch erlebbar? Schüler denken sich Geschäftskonzepte aus, die dann in einem reellen Markt (z. B. auf einer Schulveranstaltung) ausgetestet werden. Für unseren Sohn war es eines der größten Erlebnisse seiner Kindheit, gemeinsam mit der gesamten Schule ein Zirkusprojekt selbst zu organisieren. Es gibt zahlreiche Studien darüber wie sich Kreativität fördern lässt. Am effektivsten sind Konzepte der Selbstwirksamkeit. Was heißt das? Schüler brauchen Erfolgserlebnisse, die ihnen zeigen, dass Kreativität kein theoretisches Konstrukt ist, sondern das sie es schaffen können, Ideen zu entwickeln und diese umzusetzen.
Haben aus Ihrer Sicht technische Geräte wie Laptops oder Smartphones eine besondere Rolle wenn es um Kreativität in der Schule geht?
Nein. Es sind sinnvolle Tools, die in unserer heutigen Welt eigentlich selbstverständlich sein sollten. Mein 11jähriger Sohn baut im Internet mittlerweile eigene Welten und Computerspiele, vor kurzem hat er sein erstes Anleitungsvideo bei YouTube hochgeladen: darin erklärt er anderen Schülern, wie man mit Hilfe dynamischer IP-Adressen eigene Server in der Cloud anlegen kann. All das sind hochkreative Leistungen, die er mit Hilfe dieser modernen Technologien vollbringt. Aber er hätte seine Kreativität in früheren Zeiten anders ausgelebt. Wir dürfen Tools nicht mit Kreativität verwechseln!
Mögen Sie schon verraten, was die Gäste Ihres Vortrages auf dem Deutschen Schulleiterkongress erwarten dürfen?
Sicherlich einige provokante Thesen zum Thema Kreativitätsförderung. Ich habe mich in den letzten fünf Jahren an der Grenze zwischen Wissenschaft und Praxis sehr intensiv mit diesem Thema befasst. Entsprechend werden meine Thesen provokant und sehr fundiert sein. Es wird auf jeden Fall kein 08/15-Vortrag, der sich durch eine besondere politische Korrektheit auszeichnet.
Herr Meyer – vielen Dank für das Interview!