Arbeitsbelastung

Über die Belastung als Schulleiter habe ich noch nie viel nachgedacht.
Denn als ich anfing, als Schulleiter zu arbeiten, da gab es so viele neue, so viele interessante Dinge zu lernen, zu tun. So arbeitete ich vor mich hin und es fühlte sich sehr gut an. Nach einem Dreivierteljahr überlegte ich nach einer aufregenden Woche an einem Freitagabend: „Täglich 7:00 bis 17 oder 18Uhr in der Schule, dann abends…
…am Schreibtisch nur noch wenig, vielleicht einzwei Stündchen noch – oder hin und wieder eine Abendveranstaltung. Das Ganze dann von Montag bis Freitag, dafür am Samstag wirklich nicht ganz so viel, also vielleicht vormittags kurzmal etwas Berufliches lesen. Und Sonntag am Abend, ok: vielleicht kurz am Nachmittag, damit am Abend nur wenig offen bleibt.“

Anekdotische Evidenz

Wenn man wollte, könnte man die wöchentlichen Stunden ausrechnen. Ich tat das an jenem Freitagabend, zählte die Stunden pro Woche …und wurde schlagartig sehr müde.
Also hab ich mich entschieden, nicht zu rechnen, sondern einfach die Arbeitszeit weiterhin zu genießen. (Von „Auf Work-Life-Balance muss derjenige achten, der zwischen Arbeit und Leben trennt“ hin zu:   „Also, wenn schon Modewörter, dann eher Work-Private-Balance“.)

In einem Treffen fragte jüngst ein Kollege, ob dieser Beruf eher für Alleinstehende geeignet sei. Oder war das Fragezeichen am Ende des Satzes vielmehr ein Punkt? Die anderen Kolleg/innen schauten nach dieser Bemerkung wie ich verlegen zur Seite.

Gutachten

Prof. Thiele, ein Staatsrechtler aus Göttingen, hat jetzt ein auf Hessen aktualisiertes Kurzgutachten mit dem Titel „Die Arbeitsbelastung der Direktorinnen und Direktoren in Hessen – verfassungs- und gesetzeswidrig?“ herausgegeben. (Bereits 2014 erschien ein vergleichbarer Text über die Arbeitsbelastung der Schulleiter in Niedersachsen: Link) Beauftragt hat dieses Gutachten die Bundesvereinigung der Oberstudiendirektoren im Landesverband Hessen. Hintergrund und Anlass ist eine jeweils zum 1.8.2017 in Kraft getretenen Neufassung des hessischen Schulgesetzes (HSchG) und der Pflichtstundenverordnung sowie die Einführung von Schulgirokonten und Schulverbünden als weiteren, d.h. neuen Schulleitungsaufgaben.

Hieraus einige lesenswerte Zitate, die bei einem 52seitigen Gutachten selbstverständlich vollständig aus dem Zusammenhang gerissen sind und zugleich, das sei betont, für Schulleiter an hessischen Gymnasien gelten:

…die Ausgestaltung des Beamtenverhältnisses soll dem einzelnen Beamten eben auch im Übrigen (also außerhalb der Alimentation) ein Mindestmaß an Lebenskomfort gewährleisten, was jedenfalls die Möglichkeit eines angemessenen und hinreichenden Privat- und Familienlebens zwingend voraussetzt. (S. 9)

Gerade in Führungspositionen ist dem einzelnen Beamten zumindest eine unwesentliche und nicht dauerhafte Arbeitszeitüberschreitung durchaus zuzumuten. (S. 11)

Der Staat kann sich im Hinblick auf die Ausgestaltung des Beamtenverhältnisses eben nicht einfach darauf verlassen, dass es irgendwie schon klappen wird. (S. 20)

Sollte (…) der Schulleiter delegationsunfähige Aufgaben in diesem Sinne oder zusätzliche Aufgaben bei bereits bestehender Auslastung gleichwohl delegieren, verstieße mithin auch (…) er gegen die ihm als Vorgesetzten obliegende Fürsorgepflicht. Die danach nicht mehr zu delegierenden Aufgaben verbleiben folglich notwendig bei (…) dem Schulleiter. (S. 35)

Dabei bleibt schlicht unberücksichtigt, dass sich der zeitliche Umfang der Leistungszeit keineswegs vollständig proportional zur Größe der Schule verhält. (S. 37)

Insbesondere die vielfältigen planerischen und konzeptionellen Aufgaben sind, wie in den Auszügen zu erkennen ist, in der zur Verfügung stehenden Leitungszeit schlicht nicht zu leisten, da die anfallenden Aufgaben, die zur Aufrechterhaltung des Schulbetriebs vorzuziehen sind, nahezu den gesamten Arbeitstag in Anspruch nehmen. (S. 42)

Undsoweiter – Ach, wer sich das Gutachten beschaffen kann, der lese es selbst. Man muss dabei nicht allen Aussagen zustimmen. Nicht alles ist davon korrekt und gilt sowieso nur für Hessen.

und so kommt man zu dem Schluss

Thiele kommt zu dem Schluss, dass „…die konkrete Aufgabenbelastung der Schulleiterinnen und Schulleiter damit verfassungs- und gesetzeswidrig (ist). Verfassungswidrig ist dabei nicht der Aufgabenkatalog (…nach hessischen Schulgesetz [T.O.]) als solcher, sondern deren Konkretisierung in der Pflichtstundenverordnung (PflStVO) in Verbindung mit der verbleibenden Lehrverpflichtung und der mangelnden Assistenzpersonalausstattung durch das Kultusministerium. Diese führt an vielen Gymnasien dazu, dass die durchschnittliche Wochenarbeitszeit nicht eingehalten werden kann.“ (S. 51f.)
Abhilfe schaffe aus seiner Sicht eine Erhöhung des Assistenzpersonals, ein Entfall der Lehrverpflichtung oder zusätzliche Entlastung für die erweiterte Schulleitung.
Ist ja bald Weihnachten, da kann man mal Wünsche äußern.

Das Ergebnis (bezieht sich auf Gymnasien in Hessen und) ist bei diesem Auftraggeber und der aktuellen Lage natürlich rein gar nicht überraschend. Es mag in dieser Deutlichkeit auf den ersten Blick erschrecken, gar ernüchtern, das alles zu lesen.

Aber einen ganz wesentlichen Punkt lässt das Gutachten außer Acht:

Die Freude, die dieser Schulleiter-Beruf macht.

Dass jetzt Adorno von ganz hinten über diesen scheinbar affirmativen Satz den Kopf schüttelt, das übersehe ich und freue mich auf den nächsten prall gefüllten, abwechslungsreichen Arbeitstag.

3 Gedanken zu „Arbeitsbelastung

  1. Ich freue mich für Dich, dass Du die Arbeitszeitbelastung gut verdaust und offensichtlich auch viel Freue an der Arbeit hast. Die Frage ist aber vielleicht erlaubt, ob dieses achselzuckende Hinnehmen der eigentlich offenbar unhaltbaren Zustände nicht schädlich ist, weil es die eigentlichen unhaltbaren Zustände ja stabilisiert.

    Es ist paradox: Schulleiter*innen, Lehrer*innen oder andere pädagogische Profis, die ihren Job besonders gerne machen, kompensieren durch ihre Mehrarbeit die Mängel im System und verhindern, dass sich irgendwann mal wirklich etwas ändert.

    Damit tragen wir (ich zähle mich da ausdrücklich dazu) letztlich indirekt dazu bei, dass andere, die die ständigen Mehrbelastungen nicht leisten können, darunter zusammenbrechen. Auch deshalb ist die Burn-Out-Quote bei Pädagogen höher als bei anderen Berufsgruppen.

    Deshalb würde ich mir wünschen, dass mehr Pädagogen auf solchen Plattformen mit der gleichen Emphase, mit der sie auf die Freude an ihrem Beruf hinweisen, auch die Zustände kritisieren.

  2. ja, schwierige Sache.
    Da ist man dann begeistert, macht seine Sache gern und übersieht schnell die Dinge, die besser laufen könnten. Da hast du Recht.
    Spannende Frage bleibt, wie wir Beamte das tun (können).

    1. Mein Ausweg aus der misslichen Lage ist, zumindest über die Zumutungen zu bloggen. Nicht weil ich klagen will, sondern weil ich anklagen will: Es könnte so viel besser sein, wenn man uns die nötigen Ressourcen und die nötigen Freiheiten geben würde.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.