Wieder mal war es ein Beitrag im Blog von Thomas, der mich auf eine besondere Frage des Berufs aufmerksam machte: Wann gehe ich als Schulleiter nach Hause? Kurz nach seinem Artikel hatte ich ein Gespräch mit einer Schulleiter-Kollegin, die davon sprach, „eigentlich jeden Tag bis mindestens 19Uhr“ in der Schule zu sein und es Freitag „auch mal um 15 Uhr“ schaffte.
Wann darf ich, wann kann ich nach Hause gehen? Wann ist „Feierabend“?
Vor einem Jahr fragte mich schon, wie hoch die Arbeitsbelastung als Schulleiter ist oder sein darf. Eine gute Antwort habe ich hierzu immer noch nicht. Genauso wie die Lehrer/innen auch arbeiten Schulleiter pro Woche oft jenseits der 50h-Grenze. Da wir, anders als in der öffentlichen Verwaltung, in der Schule insgesamt keine Stempelkarten, keine Anwesenheitspflicht während der gesamten Dienstzeit und keine vollständig eindeutige Ergebniskontrolle haben, ist vieles offen, variabel.
Als Schulleiter ist es oft eine Entscheidung für sich selbst: ich erlaube mir aus der Schule zu gehen…
Wann ist es also genug?
Das weiß ich nicht. So wie die Lehrer/innen: als Schulleiter muss ich das selbst entscheiden. Es gibt immer noch eine Möglichkeit, etwas besser, deutlicher, schöner, klarer zu machen. Es ist eigentlich nie genug. Meine Strategien, meine Arbeitsbelastung zu reduzieren, geraten immer wieder an Grenzen. Auch die Möglichkeiten, zu delegieren sind endlich. Denn es bleiben Aufgaben, die ich in meiner Funktion einfach zu machen habe. (Außerdem kann man den sehr gut ausgelasteten Lehrkräften nicht einfach so Aufgaben mitgeben.)
Vielleicht ist es einfach genug, wenn mir auf Dauer die Freude an der Arbeit verloren geht. Denn wenn der Schulleiter seine Arbeit dauerhaft und umfassend nicht mehr mag, nicht mehr gerne macht, dann strahlt das aus und wie sollen die Lehrer der Schule dann ihre Arbeit gerne machen?
Dass natürlich immer mal Phasen oder Aufgaben dabei sind, die langweilig, unnötig oder schlichtweg überflüssig erscheinen, ist wahrscheinlich in jedem Beruf so.
Wie früh kann ein Schulleiter überhaupt nach Hause gehen?
Die Lehrerdienstordnung in SH ist da eigentlich gnadenlos:
§3 (4.b) Der Schulleiter […] muß während der ganzen Unterrichtszeit in der Schule anwesend sein.
Das heißt für mich, ich muss morgens sehr früh da und während der ganzen Unterrichtszeit dort sein, also quasi „der morgens der Erste und abends der Letzte“ in der Schule sein. Zumindest bis die Schule nach der Unterrichtszeit endet.
Nun ist es aber so: die drei Punkte im Zitat […] stehen im Original für „oder ein Vertreter“. Ebenso steht unter
§3 (4.a) Im Falle seiner Abwesenheit … werden die Dienstobliegenheiten des Schulleiters durch seinen Stellvertreter ausgeübt.
Das gibt mir als Schulleiter also die Möglichkeit, einen ständigen oder auch einen temporären Vertreter zu benennen.
Wie lange sollte er denn in der Schule bleiben?
Er sollte, nein: er muss so lange bleiben, dass die schulischen Belange geklärt sind oder (s.o.) verantwortungsvoll übergeben sind. Denn es gibt täglich kleine und leider auch große Situationen, in denen eine Person als Verantwortliche ad hoc eine Entscheidung treffen muss.
Was ist denn die Hürde?
ich glaube: das Selbstbild. Als ich das erste Mal an einem Nachmittag in der Woche meine „Dienstobliegenheiten“ an meinen Stellvertreter übergeben hatte, schlich ich heimlich zum Parkplatz, um bloß nicht gesehen oder angesprochen zu werden. Was sollten nur die Kollegen denken, wenn ich schon um 13Uhr die Schule verlasse? Wohlgemerkt: ich ging früher, um meine Kinder zu treffen, weil ich sie wegen viel Arbeit zuletzt wenig gesehen hatte.
„wenn ich früher gehe (früher als der letzte Kollege!), denkt man dann, ich würde nichts mehr für die Schule tun? Wenn ich früher gehe, bin ich dann schnell kein Vorbild für Einsatzbereitschaft? Muss ich nicht immer da sein, um den Kollegen meinen Einsatz zu zeigen?“
Natürlich nicht.
Schließlich.
Also die Gedanken, die Haltung, das Selbstbild bearbeiten. Ebenso kann ich ja sagen, dass es für eine Schule wichtig ist, gemeinsam darüber nachzudenken, wie wir alle, den Schulleiter eingeschlossen, Beruf und Privatleben unter einen Hut bekommen. Im Sinne des oben Geschriebenen: wenn ich zufrieden arbeite, dann ist das schon mal eine Basis für weitere Gespräche und meine Arbeitsfähigkeit. Wenn ich mich reflektiere, stelle ich fest: sorge ich für mich, geht es mir gut, dann geht es auch meinem Gegenüber besser. Wenn ich ausgeglichener bin, bin ich offener und aufmerksamer, wie es meinem Gesprächspartner geht.
Oder organisieren. Seit einem Jahr habe ich mir einen Nachmittag organisiert, an dem ich früher gehe und an dem ein Stellvertreter (i.d.R. der stellvertretende Schulleiter) „bis zum Schluss bleibt“. Dann fahre ich um 13h los (wie viele Lehrer auch) und mache am Nachmittag etwas für mich, mit den Kindern oder: nichts. (Der aufmerksame Leser erkennt die zeitliche Einschränkung und ahnt eine Verschiebung an den heimatlichen Schreibtisch. Keine Pointe.)
Wann muss ein Schulleiter am Abend die Schule spätestens verlassen?
Wenn er am Schulleiter-Schreibtisch einschläft.
Aber das ist mir natürlich noch nie passiert.
2 Gedanken zu „Wann erlaube ich mir als Schulleiter, die Schule zu verlassen?“
Wenn Schulleiter*innen für die Salutogenese der LuL verantwortlich sind und diese Verantwortung ernst nehmen, auf deren psychische und physische Gesundheit achten und sie auch z.B. bei der Einschulung ihrer Kinder oder der Beerdigung einer Freundin vom Unterricht befreien, müssen sie sich auch nicht verstecken, wenn sie mal um 13 Uhr die Schule verlassen. Ich habe das Geprahle von SL-Kolleg-innen mit fünf 10-Stunden-Tagen nie verstanden. Wenn ich selbst immer am Limit bin, kriege ich auch in meiner Schule nichts mehr mit. Es braucht die Solidarität im SL-Team und im Kollegium, dass im Notfall alle sich zuständig fühlen. SL können Verantwortung inklusive Hausrecht an alle „Geeigneten“delegieren. Fazit- ich habe auf meine eigene Salutogenese geachtet. Wenn es brannte, habe weder ich noch meine Kolleg-innen auf die Uhr geguckt, wenn es mal ruhig war, haben wir die Zeit zum Auftanken außerhalb der Schule genutzt. Mit dieser solidarischen Haltung konnten wir auch das Hamburger Arbeitszeitmodell der Behörde weitgehend außer Kraft setzen. Experimentieren und Konzeptarbeit blieb trotz Behördenvorgaben mit Mut zum begrenzten Regelverstoß möglich. All das braucht aber auch ausgeruhte und gelassene Schulleitungsmitglieder. In einer demokratisch geleiteten Schule mit funktionierenden Gremien und Transparenz sollte auch der Schulleiterin oder dem Schulleiter ein freier Nachmittag von allen von Herzen gegönnt werden. Hinzu kommen ja auch noch die vielen zusätzlichen Termine in Behörde, Politik und Gremien, von denen das Kollegium über die Transparenz ja auch etwas mitbekommt. Also, auch um 13 Uhr kann man ganz selbstbewusst als Schulleiterin oder Schulleiter die Schule verlassen, ohne sich zu verstecken.