Rezension: S. Müller „Wir verlieren unsere Kinder“

Silke Müller legt mit „Wir verlieren unsere Kinder“ ein gewichtiges Debattenbuch vor, das den Finger in eine Wunde der modernen Gesellschaft legt. Es ist ein Appell an Eltern, Lehrer/innen und Politiker/innen, nicht länger wegzuschauen, sondern die Weichen für eine zeitgemäße, werteorientierte Medienerziehung zu stellen.

Müller, eine engagierte Schulleiterin (die für sich auch wirklich effektive Medienarbeit betreibt, betreiben lässt) beleuchtet mutig den verstörenden Alltag im Klassen-Chat, in dem Kinder Bilder von Gewalt, Pornographie und Rassismus teilen. Sie betont, dass es nicht die Dauer der digitalen Medien-Nutzung ist, die problematisch ist, sondern die Inhalte, die Kinder konsumieren​.

Silke Müller fordert Eltern, Lehrer/innen und die Politik auf, die Augen nicht länger vor den digitalen Themen zu verschließen, denen unsere Kinder ausgesetzt sind, wenn sie Zugang zu Smartphones haben. Sie fordert, endlich die Grundlagen für eine zeitgemäße, an Werten orientierte Medien-Erziehung zu schaffen. In dieser Hinsicht können wir uns eine Scheibe von Müllers Haltung abschneiden, wenn es darum geht, eine positive und konstruktive Botschaft zu vermitteln und uns an ethische Standards zu halten.

Ein Kritikpunkt, der mir bei der Lektüre des Buches aufgefallen ist, ist die Menge an drastischen Beispielen, die Müller verwendet. Es ist zwar wichtig, das Bewusstsein für die Probleme, die sie anspricht, zu schärfen, aber zu viele drastische Beispiele überfordern. Am Ende dachte ich: „ja doch, ich hab es ja verstanden.“ (und das war unangenehm und peinlich vor mir selbst genug. Denn als Vater fühlte ich mich an vielen Stellen des Buches ertappt.) Hier hätte eine geringere Anzahl von Beispielen, die sorgfältig ausgewählt und detailliert analysiert werden, ausgereicht, um die gleiche Botschaft zu vermitteln.

Das Buch ist jedoch ein wichtiger Begleiter für Eltern und Pädagogen, um sich über die digitalen Bedrohungen zu informieren, denen Kinder ausgesetzt sind, und um praktische Tipps für den Schulalltag, aber auch den privaten Umgang zu erhalten, wie man das Thema aktiv(er) angehen kann. Wir denken zum Beispiel jetzt auch über Wege nach, eine Social-Media-Sprechstunde einzuführen. Oder unsere Medienhelden planen ebenfalls (wie ein Kollege von Silke Müller) die neuesten Themen und Trends immer mal wieder ins Kollegium zu tragen.

Zum Schluss, ein Gedanke, eine Idee, die in gewisser Weise mit der Einführung des Alkoholverbots für Jugendliche vergleichbar ist. 1951 beschloss der Bundestag, die Jugend zu schützen und den Alkoholausschank an Jugendliche zu reglementieren. Warum setzen wir nun nicht ein Mindestalter für die Nutzung von Smartphones durch Kinder und Jugendliche fest? Angesichts der drastischen Beispiele, die Müller in ihrem Buch präsentiert, könnte ein Mindestalter von 14 Jahren sinnvoll sein. Dies würde den Zugang zu potenziell schädlichen Inhalten einschränken und gleichzeitig den Jugendlichen genügend Zeit geben, sich eine ausreichende Medienkompetenz anzueignen, bevor sie vollständig in die digitale Welt eintauchen. Es ist an der Zeit, dass wir uns ernsthaft mit den Auswirkungen digitaler Medien auf unsere Kinder auseinandersetzen und geeignete Maßnahmen ergreifen, um sie zu schützen. Müllers Buch ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

4 Gedanken zu „Rezension: S. Müller „Wir verlieren unsere Kinder“

  1. Danke für den Buchtipp! Bei uns kommt das Thema immer wieder mal zur Sprache, ist Inhalt von Elternabenden, Infoabenden, Vorträgen und Seminare von Jugendpolizisten vor Ort oder mit unseren Medienscouts. Aber was die Kiddies in ihrer Freizeit posten, können wir nach wie vor schwer reglementieren.

  2. Tatsächlich plädieren in den USA Elternverbände für „Wait until eighth!“, ‚Wartet mit Smartphones bis zur 8. Klasse!‘ Das hört sich für manche unmöglich, für andere unmenschlich an – aber es täte den Kindern wohl gut. Sogar ältere Internatsschüler waren laut Bericht der NZZ letztlich dankbar, als man ihnen den Gebrauch des Smartphones auf dem Campus verboten hat – weil sie dann mehr miteinander machten.
    Denn auch unabhängig von Sex & Crime sind Smartphones äußerst heikle Begleiter für Entwicklungsjahre. Sie stehlen allen Beteiligten viel Zeit, sie lassen Aufmerksamkeit verkümmern – just wie Momos Grauen Herren.
    Vielleicht könnten wir es hinkriegen, dass möglichst viele Eltern die 3-6-9-12-Faustregel des französischen Psychologen Tisseron zumindest kennen: Kein Fernsehen unter 3 Jahren, keine eigene Spielkonsole vor 6, Internet nach 9 und soziale Netzwerke erst ab 12.

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