KI-„Convenience“ und Autonomie-Erleben

KI ist immer mehr der alltägliche Begleiter. Bei der Auto-Vervollständigung von Texten, der Navigation oder der simplen Ideengewinnung – die Versuchung ist groß, sich auf diese Technologie umfassend zu verlassen, die KI-Antwort sorglos oder gar euphorisch zu übernehmen. Joscha Falck nennt es auf LinkedIn AI Convenience. Die unkritische Nutzung birgt die Gefahr der Abhängigkeit und stellt dabei unser Grundbedürfnis nach Autonomie und Selbstbestimmung infrage.​

Das Riemann-Thomann-Modell: Ein Kompass für Persönlichkeitsstrukturen

Das Riemann-Thomann-Modell, entwickelt von Fritz Riemann, weitergeführt von Christoph Thomann und hier bei Schulz-von-Thun kurz erläutert, bietet einen Rahmen, um menschliche Verhaltensweisen und Bedürfnisse besser zu verstehen. Es basiert auf vier Grundausrichtungen: das Bedürfnis nach Nähe (z.B. Kontakt, Geborgenheit), nach Distanz (z.B. Unabhängigkeit, Individualität), nach Dauer (z.B. Ordnung, Kontrolle) und nach Wechsel (z.B. Abwechslung, Kreativität). Diese Ausrichtungen lassen sich paarweise gegenüberstellen: Nähe gegenüber von Distanz und Dauer gegenüber von Wechsel. Jeder Mensch bewegt sich individuell innerhalb dieses Koordinatensystems, was die jeweiligen Präferenzen und Verhaltensweisen prägt.

Anwendung auf die KI-Nutzung: Vier Felder der Interaktion

Das Modell kam mir im Zusammenhang mit der KI-Nutzung in den Sinn, weil es eben so viel Bindung, so viel Nähe, so viel Convenience ist.
Auf die KI-Nutzung angewendet ergeben sich vier Felder, die unterschiedliche Haltungen und Verhaltensweisen im Umgang mit KI widerspiegeln. „Wie verhalte ich mich jeweils zur KI-Nutzung?“

  • Nähe mit Dauer: Menschen hier schätzen die kontinuierliche und tiefgehende Integration von KI. Sie nutzen KI regelmäßig und vertrauen auf deren Unterstützung in festen Strukturen.​
  • Nähe mit Wechsel: In diesem Quadranten sind Menschen offen für neue KI-Technologien experimentieren gerne mit unterschiedlichen Anwendungen. Sie suchen aktiv nach innovativen Wegen, KI in ihren Alltag zu integrieren.​
  • Distanz mit Dauer: Menschen in diesem Feld bevorzugen traditionelle Methoden und setzen KI jedoch nur selektiv und kontrolliert ein. Sie schätzen bewährte Prozesse und sind zurückhaltend gegenüber technologischen Neuerungen.​
  • Distanz mit Wechsel: Hier finden sich Menschen, die sowohl Skepsis gegenüber KI hegen als auch zugleich einen Hang zu Veränderung haben. Sie könnten KI punktuell nutzen, jedoch stets mit dem Wunsch nach Unabhängigkeit und Selbstbestimmung.​

Wo stehst du? Und verändert sich diese Position?

Praktische Beispiele im Schulalltag

OK, ich brauchte auch Beispiele, um es besser zu verstehen:

DimensionenBeispiel
Nähe & DauerKI nutzen, um Einheiten zu konzipieren und ungeprüft gern übernehmen. oder:
Sich nahezu blind auf ein KI-Programm verlassen, das Arbeiten bewertet. In der tägliche KI-Routine führt das zu einer Art Blase, in der eigene pädagogische Entscheidungen kaum mehr gefragt sind – das Pendel könnte in Richtung Abhängigkeit ausschlagen.
Nähe & Wechsel
Als Lehrkraft ständig neue, KI-gestützte Tools ausprobieren – Chatbots, adaptiven Lernplattformen, Bildgeneratoren – um den Unterricht dynamisch zu gestalten. Gleichzeitig plant sie bewusst „Offline-Zeiten“, in denen Schüler eigenständig denken und diskutieren. Hier könnte es hektisch werden.
Distanz & Dauer
In diesem Quadranten hält man an klassischen Lehrmethoden fest und nutzt KI lediglich punktuell, zum Beispiel zum kurzen Auftakt einer dann wieder analogen Ideenfindung. Die persönliche Beziehung zu den SuS ist wesentlicher als KI. Das Klassenzimmer darf keine „KI-Welt“ werden.
Distanz & WechselLehrkraft wagt hier gern unterschiedliche, analogen Unterrichtsansätze, um zu vermeiden, dass sich die SuS zu sehr auf automatisierte Antworten oder gar KI verlassen. KI ist hier maximal gelegentlicher Impulsgeber – eine bewusste, sehr klare Distanz, um eigenständiges Denken zu bewahren.

Hm. noch nicht ganz zufrieden. Es ist halt ein Schema, was wie jedes Schema an den Rändern ausfranst und undeutlich wird.

Trotzdem hat mir das Riemann-Thomann-Modell dabei geholfen, meine eigene Haltung gegenüber KI klarer zu erkennen und neue Ideen zu entwickeln. Es zeigt sich für mich, dass neben dem anziehenden Reiz der Nähe – womit KI uns eben so umschmeichelt – ebenso das Bedürfnis nach Distanz und Autonomie besteht. Der Umgang mit diesem Modell erinnert daran, eine ausgewogene Balance im (schulischen oder gesellschaftlichen) Alltag zu finden: KI als wertvollen Helfer nutzen, ohne dabei unsere Individualität und Kreativität aus den Augen zu verlieren.

2 Gedanken zu „KI-„Convenience“ und Autonomie-Erleben

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